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7 Tipps, die eine Kultur des ständigen Experimentierens und Lernens fördern


05. August 2021

Einer meiner Lieblingssprüche lautet: "Inspection without adaptation is waste". Für eine kontinuierliche Verbesserung ist es nicht nur wichtig, Dinge zu identifizieren, die nicht so gut gelaufen sind, sondern dann auch konkret etwas an der Arbeitsweise zu ändern. Wenn nichts verändert wird, hat die Überprüfung überhaupt keine Wirkung und ist eine Verschwendung von Zeit und Energie. Aber Veränderung ist schwer. Um Veränderungen zu erleichtern und wahrscheinlicher zu machen, und vor allem um sie evidenzbasiert voranzutreiben, sind Experimente eine ausgezeichnete Möglichkeit. Aber wie kann man eine Kultur des ständigen Experimentierens und Lernens etablieren? Was kann man tun, damit im Arbeitsumfeld mehr Veränderungen stattfinden? 

Warum ist Veränderung so schwierig?

Alle sind sich einig, dass Anpassungen und Veränderungen entscheidend sind, um langfristig am Markt bestehen zu können. Auf der anderen Seite tun sich viele Teams aber schwer damit, Veränderungen in ihrer täglichen Arbeit zu integrieren und diese auch als etwas Positives anzunehmen. Manchmal wird die Meinung vertreten, dass der Widerstand gegen Veränderungen Teil der menschlichen Natur ist. Meiner Meinung nach ist dies eine zu starke Vereinfachung des Problems. Der Widerstand gegen Veränderungen wird meist durch das System verursacht, in dem die Menschen arbeiten (Arbeitsumfeld). 

Veränderungen sind in der Regel schwierig, weil wir alles richtig machen wollen. Mit jeder Veränderung geht auch das Risiko einher, dass wir uns nur für die zweitbeste Lösung entscheiden oder die Situation gar verschlechtern. Um eine derartige Verschlechterung des Status quo zu vermeiden, ist es nur natürlich, über all die möglichen unerwünschten Folgen nachzudenken, die eine Veränderung auch haben könnte. Das ist per se nichts Schlechtes. Es wird nur dann zum Problem, wenn die Analyse und insbesondere die Diskussion dieser Folgen zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Dies hemmt unsere Fähigkeit, schnell und häufiger Veränderungen umzusetzen. Und oft erreichen Teams einen Zustand, in dem kaum noch Verbesserungsvorschläge gemacht werden, weil man die Zeit für diese Art von Diskussion scheut. 

Experimente als Lösung

Viele dieser Bedenken sind jedoch hypothetisch. Wir wissen noch nicht, ob sie relevant sein werden. Wir wollen zwar nicht von den Folgen einer Änderung überrascht werden, aber das bedeutet nur, dass wir noch nicht genug Wissen haben, um die "richtige" Entscheidung treffen zu können. 

Der Nutzen eines Experiments besteht darin, unser Wissen über ein bestimmtes Thema zu erweitern, "unbekannte Unbekannte" aufzudecken und mehr Sicherheit in unseren Entscheidungsprozess zu bringen. Anstatt also viel Zeit auf die Diskussion eines Problems zu verwenden und dann doch nur hypothetische Annahmen zu haben, könnte man doch eher Zeit darauf verwenden, ein Experiment durchzuführen und echte Fakten zu sammeln. Leider tun sich viele Teams mit der Durchführung von Experimenten schwer. Um Experimente erfolgreich in Lern- und Verbesserungsbemühungen zu nutzen, ist eine spezifische Kultur erforderlich. Diese Kultur ist auch Teil des dritten Weges der drei Wege von DevOps (https://itrevolution.com/the-three-ways-principles-underpinning-devops/), der sich "Kultur des kontinuierlichen Experimentierens und Lernens" nennt. Aber wie kann man eine solche Kultur entwickeln? Die folgenden Tipps können helfen, einige Antworten auf diese Frage zu finden.

Tipp 1: Mache kleine Experimente 

Ein Experiment sollte eine Möglichkeit schaffen, zu lernen, Annahmen zu überprüfen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Je kleiner ein Experiment ist, desto schneller können wir es angehen und es wird weniger Widerstände dagegen geben. Bei Bedarf können wir eine Reihe von Experimenten durchführen, um ein größeres Thema abzudecken. Aber nach jedem Experiment können wir den Kurs korrigieren und entscheiden, welches Experiment auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse den größten Lerneffekt bringt. 
Klein betrifft verschiedene Faktoren wie:

  • Anzahl der betroffenen Personen
  • Anzahl der beteiligten Personen
  • Zeit für die Durchführung des Experiments und die Erfassung der Ergebnisse
  • Aufwand für die Durchführung des Experiments
  • Risiko unerwünschter Auswirkungen und deren Beseitigung

Je kleiner Experimente sind, desto mehr davon können durchgeführt werden und umso öfter daraus gelernt werden. Diese Erkenntnisse können wiederum für die Gestaltung der nächsten Schritte genutzt werden. Wenn es also Bedenken gegen die Durchführung eines Experiments gibt, könnte es helfen, es kleiner zu machen.

Tipp 2: Den Wert von Lernen und Erkenntnisse wertschätzen

Um Menschen in einem Team oder einer Organisation zu ermutigen, Experimente durchzuführen, müssen Lernen und Erkenntnisgewinn als etwas Sinnvolles angesehen werden. Die Durchführung eines Experiments bedeutet, dass wir heute unsere Kapazität für die Feature-Entwicklung ein wenig reduzieren, um in Zukunft dort aber effektiver zu sein. Wenn die Mitarbeiter das Gefühl haben - ob ausgesprochen oder nicht -, dass die Arbeit an den Funktionalitäten der Software als wertvoller als das Lernen angesehen wird, werden sie ihre Energie auf die funktionale Arbeit konzentrieren und Experimente werden verschoben, "wenn wir mal Zeit haben", also nie. 

Um eine Kultur des ständigen Experimentierens und Lernens zu etablieren, müssen wir einen entsprechenden Raum dafür schaffen. Einige Teams planen in jedem Sprint eine feste Timebox. Dies ist eine Option, die als Ausgangspunkt funktionieren kann, aber zugleich auch eine begrenzte Flexibilität mit sich bringt. Am besten ist es, ein gemeinsames Verständnis über die Prioritäten zu schaffen. Diese Prioritäten sind nie für den einen oder anderen Bereich absolut. Experimente haben nicht unbedingt grundsätzlich Vorrang vor der Arbeit an Funktionen haben oder umgekehrt. Vielleicht stellen wir fest, dass wir uns eine Zeit lang zu sehr auf die funktionale Arbeit konzentriert und unsere Verbesserungen vernachlässigt haben, und werden den Schwerpunkt verlagern. Oder es gibt dringende geschäftliche Anforderungen, die es notwendig machen, sich für eine kurze Zeit auf die funktionale Arbeit zu konzentrieren. Als Ziel sollte ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden Aspekten angestrebt werden.

Dieses Gleichgewicht kann jedoch nur erreicht werden, wenn die Mitarbeiter beide Bereiche als gleich wichtig empfinden. Es geht hier schließlich um die Balance zwischen dem Nutzen, den wir heute schaffen und unserer Fähigkeit, auch in Zukunft Nutzen generieren zu können. Und das hat viel mit dem Feedback zu tun, das wir geben. Wenn ein Kollege, ein Vorgesetzter oder eine andere Person ein positives Feedback zu einem durchgeführten Experiment gibt, wird das motivieren, weitere Experimente durchzuführen. Wenn man nur positives Feedback zur schnellen Implementierung von Funktionen erhält, wird man sich darauf konzentrieren, die Funktionen so schnell wie möglich fertig zu stellen. Das Feedback, das gegeben wird, beeinflusst die Arbeit, auf die sich die Menschen konzentrieren. 

Tipp 3: Mache Experimente explizit und transparent

Um die Wertschätzung von Experimenten zu zeigen, müssen wir sie explizit und transparent machen. Experimente sollten von vornherein als solche definiert werden und nicht dazu missbraucht werden, einfach eine Zeit lang an einem Thema herumzudoktern. Experimente sollten im Team besprochen und abgestimmt werden, auch wenn sie nur von einer Person durchgeführt werden. Dadurch ergeben sich mehr Möglichkeiten, das Experiment zu verkleinern, das Ziel klarer zu formulieren und über die ideale Form zur Durchführung des Experiments nachzudenken. 

Die Ergebnisse sollten auch innerhalb des Teams und vielleicht sogar darüber hinaus geteilt werden, um die daraus gezogenen Lehren auszutauschen. Experimente sollten zeitlich begrenzt sein. Es sollte eine regelmäßige Überprüfung der bisherigen Ergebnisse erfolgen und eine Frist, in der wir entscheiden müssen, wie wir am sinnvollsten weiter verfahren können. Haben wir bereits genug gelernt? Gibt es andere Ansätze, die bessere Erkenntnisse liefern würden? Sollten wir das Experiment verlängern? Einige Teams verwenden ein Experimente-Board, auf der sie alle geplanten und laufenden Experimente sowie die abgeschlossenen Experimente zusammen mit ihren Ergebnissen visualisieren. 

Tipp 4: Rollback als Standard

Wie bereits erwähnt, wird Widerstand hauptsächlich durch die Befürchtung ausgelöst, dass sich die Situation durch eine Veränderung verschlechtert. Wenn man sorge hat, dass man für die Rücknahme einer ungünstigen Veränderung erst kämpfen muss, ist man eher geneigt, die Veränderung schon im Vorfeld abzulehnen. Das führt dann oft zu langen Debatten, in denen Befürworter und Gegner der Veränderung Argumente und Bedenken austauschen.

Diese Diskussionen können abgekürzt werden, indem man sich darauf einigt, dass der Standardmodus nach dem Ende des Experiments ein "Rollback" sein wird. Das bedeutet, dass zur vorherigen Arbeitsweise zurückgekehrt wird, wie sie vor dem Beginn des Experiments war. Die einzige Möglichkeit, den neuen Modus beizubehalten, wäre dann, sich darauf zu einigen, dass der neue Modus genügend Vorteile hat und dieser beibehalten werden soll. Auf diese Weise kann dafür gesorgt werden, dass die Menschen offener werden, Dinge einfach mal auszuprobieren und zu sehen, was passiert.

Tipp 5: Beginne mit dem Ziel vor Augen

Jedes Experiment sollte nicht nur klar als solches definiert werden, sondern es sollte auch ein Ziel festgelegt werden, das mit diesem Experiment erreicht werden soll. Welche Hypothese, soll getestet werden? Wie lauten die Erfolgskriterien für das Experiment? Was soll daraus gelernt werden? Es sollte überlegt werden, ob dieses Ziel in einem einzigen Schritt erreicht werden kann oder ob es sinnvoll wäre, es in kleinere Schritte aufzuteilen (siehe auch Tipp 1: Experimente klein machen). Wenn mehrere Dinge gelernt werden sollen, kann man vielleicht kleinere Experimente machen, die sich auf einen konkreten Teil davon konzentriert. Wenn die Hypothese verschiedene Aspekte umfasst, kann sie in kleinere Schritte unterteilt werden.

Erst wenn ein klares Verständnis des erwünschten Ergebnisses besteht, sollte das Experiment entsprechend gestaltet werden. Auch wenn das erwartete Ergebnis nicht sehr konkret ist, kann man jetzt diskutieren, wie man das Ziel am besten erreichen kann. Einige Teams haben sehr klare Erfolgskriterien, manchmal sogar spezifische Messgrößen, die das Ergebnis des Experiments definieren. Andere haben nur ein Lernziel vor Augen, einen tieferen Einblick in eine Hypothese oder ein Thema. Dies kann von den Personen, der Situation und der Fragestellung abhängen. Wahrscheinlich sollte ein Team mit verschiedenen Möglichkeiten experimentieren, um das Ziel eines Experiments zu definieren.

Tipp 6: Schaffe psychologische Sicherheit 

Den größten Einfluss auf eine Kultur des ständigen Experimentierens und Lernens hat die psychologische Sicherheit. Nur wenn Menschen sich sicher fühlen, wenn sie darauf vertrauen, dass sie von ihren Kollegen und Vorgesetzten nicht bloßgestellt werden, sind sie bereit, Risiken einzugehen. Sie werden eher bereit sein, neue Dinge auszuprobieren, wenn sie wissen, dass sie Unterstützung bekommen, wenn sie darum bitten. Die Bereitschaft, Risiken einzugehen, ist eine Voraussetzung für Veränderungen und Experimente. 
Dies beginnt mit der Einsicht, dass ein Experiment nicht gescheitert ist, wenn es nicht die erwarteten Ergebnisse liefert. Jedes Experiment kann einen Mehrwert in Form von neuen Erkenntnissen und Erfahrungen liefern, selbst wenn das Experiment nicht die gestellte Frage beantwortet hat. Ein Experiment kann nur dann scheitern, wenn wir nichts daraus lernen. Dies hat sehr viel mit unserer eigenen Offenheit zu tun und nicht mit den Ergebnissen eines Experiments. 

Das sollte nicht so verstanden werden, dass die Risiken eines Experiments ignoriert werden sollen. Es bedeutet, dass die Risiken mit einigen der bereits in diesem Artikel besprochenen Praktiken in Kombination mit organisatorischen und technischen Fähigkeiten zur Risikobewältigung minimiert werden. Der Fortschritt der Experimente sollte regelmäßig überwacht werden, um so frühzeitig Anpassungen zu erkennen und umzusetzen. Das sollte auch von Kollegen eingefordert werden, während gleichzeitig Unterstützung und Sicherheit gegeben wird. So werden Experimente zu einer gemeinsamen Initiative. Es steht am Ende nicht eine Person allein für die Ergebnisse gerade, sondern das Team gemeinsam. Dieses Wir-Gefühl vermittelt Sicherheit. 

Es sollte immer versucht werden, aus den Experimenten so viel möglich zu lernen. Schlechte Ausführung oder unerwünschte Ergebnisse können auch wichtige Erkenntnisse liefern, die helfen, Experimente in der Zukunft besser zu gestalten. Man kann andere am besten inspirieren, aufgeschlossen zu sein, wenn man selbst mit gutem Beispiel vorangeht. Psychologische Sicherheit entsteht, wenn man nicht Menschen, ihr Verhalten oder ihre Motive beurteilt, sondern die Situation und das Umfeld um diese dann mit gemeinsamen Bemühungen zu verbessern. 

Tipp 7: Kaizen-Mentalität

Um mit Experimenten erfolgreich zu sein, ist es wichtig, dass es den Wunsch gibt, sowohl das Produkt als auch die aktuelle Arbeitsweise kontinuierlich zu verbessern. In der Lean-Philosophie wird dieser Anspruch "Kaizen" genannt. Kaizen wird durch den Wunsch der Menschen angetrieben, stolz auf ihre Arbeit zu sein. Die Frage ist, durch was diese intrinsische Grundmotivation ausgebremst wird? Gibt es ein Grundvertrauen in die Motivation der Teammitglieder? Haben die Mitarbeiter das Gefühl, dass sie das Produkt und den gesamten Arbeitsablauf beeinflussen können, oder dass sich ihr Einfluss nur auf ihren persönlichen Beitrag beschränkt? Wenn die Mitarbeiter auf das Produkt, das sie entwickeln, stolz sein wollen, werden sie leicht Möglichkeiten zu dessen Verbesserung erkennen und vorschlagen. Und das ist die beste Grundlage für die Definition von Experimenten. 

Es macht einen großen Unterschied, ob man selbst ein Experiment als einen wichtigen Schritt zur Verbesserung des Produktes oder der Arbeitsweise ansieht oder ob das Experiment von jemand anderem vorgegeben wird und die Durchführung des Experiments eingefordert wird. Wenn Menschen sich verbessern wollen, finden sie Wege, dies zu tun. Wenn sie in diesen Möglichkeiten eingeschränkt werden, wird die Motivation bei der Arbeit sinken. Die Förderung einer Kaizen-Mentalität ist eine der wichtigsten Pflichten, die nicht nur Manager, sondern auch Teamkollegen erfüllen können. Dafür muss man zunächst sein eigenes Kaizen entwickeln.

Beispiel

In einem Team wird der Vorschlag diskutiert, in automatisierte UI-Tests zu investieren, um die Qualität des Produkts zu verbessern. Es gibt aber auch einige Bedenken, dass diese Tests sehr arbeitsintensiv sind, nicht nur bei der Erstellung, sondern auch bei der Instandhaltung und Aktualisierung der Tests. Und es wird bezweifelt, dass diese Tests überhaupt einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Produktqualität leisten werden. Die Hypothese, die überprüft werden sollte, lautet: "Automatisierte UI-Tests tragen dazu bei, die Anzahl der Probleme in der Produktion mit einem angemessenen Aufwand für ihre Erstellung und Pflege zu reduzieren". 

Anstatt ein komplettes automatisiertes Testsystem zu entwickeln, beschließt das Team, das Ganze in eine Reihe von kleinen Experimenten aufzuteilen, um das Risiko zu verringern. Das Experiment erste wird sich darauf konzentrieren, mehr darüber zu erfahren, wie viel Zeit die Erstellung und Pflege solcher Tests in Anspruch nehmen wird. Der Vorschlag lautet, einen ersten Testfall zu automatisieren und dann die Erkenntnisse zu diskutieren. Dann schlägt jemand vor, das Ganze noch weiter herunterzubrechen. Es könnte in ein Experiment für den Erstellungsaufwand und eines für die Wartung aufgeteilt werden. Das erste Experiment würde sich also nur auf die Erstellung des Testfalls konzentrieren, der dann lokal in einer Entwicklungsumgebung ausgeführt werden kann. Ein zweiter Schritt wäre dann die Integration in eine automatisierten Build, um zu sehen, wie viele Aktualisierungen benötigt werden. Ein Aspekt des ersten Experiments wird darin bestehen, ein Tool für das Testen der UI auszuwählen, ohne jedoch zu viel Zeit darauf zu verwenden. Es wird Folgeexperimente geben, die die Hypothese überprüfen sollen, ob es Tools gibt, die die Erstellung der automatisierten Tests schneller und einfacher machen können. 

Das Team hat bereits einige wichtige Erkenntnisse aus den ersten beiden Experimenten gewonnen. Sie erkannten, dass UI-Tests in einem Bereich, in dem sich die Benutzeroberfläche häufig ändert, eine Menge Aktualisierungen erfordern. Als Schlussfolgerung daraus beschließen sie, UI-Tests nur für Bereiche zu erstellen, in denen die Benutzeroberfläche bereits stabil ist. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die UI-Tests mit einer anderen Testmethode für die Bereiche zu kombinieren, die sich derzeit in der Entwicklung befinden. Man einigt sich darauf, für diese Situation mit explorativen Tests zu experimentieren. Das wirft aber auch die Frage auf, wie man erkennt, dass bestimmte UI-Bereiche nun stabil genug geworden sind, um dort UI-Tests durchzuführen. Das nächste Experiment wird darin bestehen, ein wiederkehrendes Meeting zu planen, in dem das Team zusammen mit dem Product Owner diese Frage diskutiert. 

Ein Teammitglied schlägt zusätzlich vor, ein Tool zu finden, mit dem man sehen kann, welche Bereiche der Benutzeroberfläche bereits durch Tests abgedeckt sind. So kann besser festgestellt werden, in welchen Bereichen zusätzliche UI-Tests Sinn machen würden. Das Team einigt sich darauf, für die Suche und Bewertung eines solchen Tools 4 Stunden einzuplanen und, falls kein geeignetes Tool gefunden wird, die Übersicht zunächst von Hand zu erstellen, um zu sehen, ob der Nutzen groß genug ist. Erst dann soll mehr Zeit für die Suche nach einem Tool zur Automatisierung des Prozesses aufgewendet werden.

Man stelle sich jetzt vor, wie diese Initiative verlaufen wäre, hätte das Team in der ersten Diskussion gleich versucht, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob es UI-Tests einsetzen soll oder nicht. 

Schlussfolgerung

Verbesserung ist eine komplexe Herausforderung. Daher ist es unmöglich, alle Ursache-Wirkungs-Beziehungen im Voraus zu ermitteln. Welche Wirkung eine Veränderung auslöst – im Positiven wie im Negativen – kann meist erst im Nachhinein beurteilt werden, wenn die Veränderung durchgeführt wurde. Der beste Ansatz zur Bewältigung komplexer Situationen ist der Einsatz von Empirie - Transparenz, Überprüfung und Anpassung. Hierfür ist die Entwicklung einer Kultur des ständigen Experimentierens und Lernens notwendig. 
Nachdem eine konkrete Verbesserung im Arbeitsprozess oder am Produkt identifiziert wurde, sollte man überlegen, welches Experiment bei der Überprüfung von Annahmen hinter der erhofften Verbesserung helfen kann. Kollegen sollten ihre Vorbehalte gegen den Veränderungsvorschlag vorerst zurückhalten. Stattdessen sollte diskutiert werden, welche Risiken von dem Experiment ausgehen könnten und wie das Experiment verändert werden kann, um diese Risiken zu minimieren. Es kann auch helfen, zur Durchführung eines Experiments auf die Personen zu setzen, die darauf Lust haben. Da vor allem das Lernen und der Erkenntnisgewinn bei einem Experiment im Vordergrund stehen sollte, müssen die Beteiligten am Experiment ein Interesse am Experiment mitbringen, sonst wird die Wirkung eher verpuffen.

Die Durchführung dieses ersten Experiments kann dann dazu beitragen, ein gewisses Vertrauen in den Prozess aufzubauen, und so das nächste Experiment zu ermöglichen. So wird mit der Zeit das Vertrauen wachsen und Schritt für Schritt wird die Kultur des kontinuierlichen Experimentierens und Lernens wachsen.

Diese Kultur des kontinuierlichen Experimentierens und Lernens und die damit verbundene Fähigkeit des Teams zur kontinuierlichen Weiterentwicklung stellt einen wichtigen Erfolgsfaktor dar. Dies kann nicht nur einen Wettbewerbsvorteil bedeuten, sondern durchaus auch die Attraktivität als Arbeitgeber im Wettbewerb um Fachkräfte steigern.

Viel Spaß beim Experimentieren!

Nachwort

Und was hat das nun mit Agilität bzw. Scrum zu tun? Nun, bei Business Agility geht es genau darum. Sie basiert auf der Überzeugung, dass alles, was wir an unserem Produkt bauen oder ändern wollen, zunächst nur eine Hypothese ist, bestenfalls eine fundierte Vermutung. Wir wissen aber nicht mit Sicherheit, welche Funktionen die Kundenzufriedenheit am stärksten steigern werden und welche Überraschungen hinter der nächsten Ecke warten. Um unsere Hypothesen und Annahmen so schnell wie möglich zu validieren und daraus zu lernen, können wir Experimente durchführen.

Agile und Scrum beruhen auf Empirie - Transparenz, Überprüfung und Anpassung. Anstatt einen großen Plan einfach in kleinere Teile zu zerlegen, geht es bei Agilität darum, bei jedem Schritt zu lernen und diese Erkenntnisse zu nutzen, um die nächsten Schritte zu gestalten. In Scrum kann man jedes PBI als ein Experiment sehen, ebenso wie jedes Verbesserungselement aus einer Retrospektive. Die Kultur des ständigen Experimentierens und Lernens kann sehr hilfreich sein, um die Vorteile von Agilität und Scrum wirklich auszuschöpfen.


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